Solidarität mit der Gelbwesten-Bewegung – gegen Polizeigewalt und soziale Sicherheit für alle

Im Rahmen der Großdemonstration am 26.01.2019 gegen das geplante sächsische Polizeigesetzt, gab es eine Aktion um sich mit den Gelbwestenprotesten zu solidarisieren. Soziale Sicherheit für alle, gegen die Polizeigewalt und die Militarisierung von Polizei überhaupt waren dabei der Fokus.
Wir haben hier den Redebeitrag dokumentiert und wollen euch noch auf einen Text zu den Protesten in Frankreich hinweisen, der im neuen Circle-A erschienen ist.

Viel Spass beim Lesen.


Redebeitrag vom 26.01.2019

Stellen sie sich vor es gibt eine soziale Bewegung, die seit 14 Wochen ihre Unzufriedenheit, ihre Existenzängste und ihre Wut auf ide Straße trägt.
Stellen sie sich vor die Straßen sind gefüllt von Arbeiter*innen, Menschen ohne Lohnarbeit, Rentner*innen, ein paar Kleinunternehmern.
Sie besetzten Plätze, halten Versammlungen ab, blockieren Autobahnauffahrten und Supermärkte, sie überwinden ihre Ohnmacht in der Vereinzelung des kapitalistischen Staates.
Stellen sie sich vor der Staat sieht sein Gewaltmonopol in Frage gestellt. Und geht gegen diese Menschen mit Granaten, Tränengas und Gummigeschossen, berittener Polizei, Wasserwerfern und Schlagstöcken vor.
Stellen sie sich vor, dass mindestens 1700 Menshcen verletzt wurden.

In Frankreich erleben wir seit Oktober 2018 eine soziale Bewegung, die Gelbwesten Proteste. Es sind jeden Samstag hunderttausende Menschen. Ihre Gründe auf die Straße zu gehen sind so verschieden, wie ihre alltäglichen Probleme und Nöte. Aber was sie eint sind ihre Armut, ihre Existenzängste und ihre Unzufriedenheit. Es sind Menschen, die das demonstrieren nicht gewohnt sind, aber mit einer Gelassenheit Barrikaden errichten. Gelassenheit, weil sie eine vollkommene Legitimität verspüren ihre Wut gegen die Ungerechtigkeit zu zeigen.

Für viele Menschen gab es in den letzten 14 Wochen die Möglichkeit zusammenzukommen, über ihre Probleme und praktische Dinge zu sprechen, aus der Vereinzelung und Apathie auszubrechen. Es gab Versammlungen auf Kreisverkehren und vor Supermärkten, in Universitäten und auf öffentlichen Plätzen. Bemerkenswert ist, dass der Protest bisher von keiner Partei oder Organisation vereinnahmt werden konnte. Parteien in Frankreich und hier können sich mit dem Protest schwer identifizieren. Es gibt keine klaren Machtstrukturen, die Proteste sind nicht gut kontrollierbar.

Dem gegenüber steht die Ignoranz der Menschen, die von diesen Existenzängsten nicht berührt werden.
Dem gegenüber steht auch ein Staat, der soziale Probleme mit einem repressiven Polizeiapparat lösen will und der Einschränkung der Versammlungsfreiheit.

Über die verletzten Beamten, brennenden Mülltonnen und Barrikaden wird länglich berichtet. Über das Ausmaß der Verletzten der Demonstrant*innen erfährt mensch wenig. Überprüft ist jedoch, dass mindestens 1700 Demonstrant*innen verletzt wurden, unteranderem von Granaten und Schußwaffen. 94 von ihnen wurden schwer verletzt: mehrere Menschen verloren ein Auge, es gab abgerissene Gliedmaßen, mehrfache Brüche, klaffende Kopfwunden, riesige Hämatome, von den psychischen Schäden nicht zu reden. Mindestens eine Person wurde durch direkte Polizeigewalt getötet.

Schauen wir auf die Verschärfung der Polizeigesetzte in Deutschland sehen wir einen Zusammenhang. Im sächsischen Polizeigesetz finden wir die Aufrüstung mit Maschinengewehren und Handgranaten, das sind Kriegswaffen. Die Distanz zwischen Polizei und Bevölkerung nimmt zu, widerständige Menschen werden zu Feinden. Deshalb stellen wir uns ganz klar gegen staatliche Repression als Lösungsvorschlag für soziale Unzufriedenheit.

Wir haben entschieden uns heute hier mit den Gelbwesten zu solidarisieren.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir erkennen, dass sich soziale Probleme nicht mit einer repressiven Ordnungspolitik lösen lassen. Wir sehen in den Gelbwestenprotesten eine vielfältige soziale Bewegung, welche unter anderem Armut, die Gentrifizierung in den Städten, die Vereinzelung und Lähmung im kapitalistischen Staat und die Militarisierung der Polizei thematisiert. Bei den Protesten zeigen sich viele Widersprüche, natürlich gibt es Widersprüche. Wie soll eine Protestbewegung von hunderttausenden Menschen homogen sein. Diese Widersprüche machen die Bewegung nicht weniger legitim, im Gegenteil sie zeigen wie breit und vielfältig die Nöte und Perspektiven in unserer Gesellschaft sind.

Allen Skeptiker*innen, die darauf verweisen, dass in Deutschland nur Nazis die gelben Westen tragen, möchten wir sagen, dass wir uns unsere Politik nicht von ein paar Pegidaanhänger*innen bestimmen lassen. Gerade wenn sie anfangen sich das Symbol anzueignen, dürfen wir uns das nicht wegnehmen lassen.

 


Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich – endlich bekommen die Kreisverkehre einen Nutzen!

Seit langer Zeit sind Frankreichs Kreisverkehre ein Grund für Ärger, wenn nicht sogar Verachtung. Sie haben einen zweifelhaften Nutzen, sind auf oft lächerliche Art mit bunten Sträuchern geschmückt und sind vielleicht grade deshalb prägende Elemente der französischen Vorstädte mit ihren Gewerbegebieten, riesige Betonwüsten, über die derzeit der kalte Wind fegt. Trotzdem hat gerade hier ein großer Teil der Gelbwesten-Bewegung ihren Anfang gefunden und hier lebt sie weiter. Auf kleinen Erdhügeln inmitten von Autos. Wir konnten mit ansehen, wie überall in Frankreich kleine Inseln der Wut entstanden.

Ein interessantes Merkmal dieser Bewegung ist, dass sie sich an Plätzen abspielt, die wir gerne als „Nicht-Orte“ bezeichnen. Diese Orte, an denen Menschen aneinander vorbeigehen ohne sich zu begegnen, verbildlichen eine Gesellschaft, in der das Individuum in der Masse vereinzelt lebt. Indem ausgerechnet diese Räume Tag und Nacht besetzt werden, rechnen die Leute mit ihnen ab. Am Straßenrand, bei den Blockaden der Autobahnen, Supermärkte und Fabriken mischt sich eine heterogene Menschenmenge. Viele Arbeiter*Innen für die, Dank des Mindestlohns, das Ende des Monats gefühlt schon am 15. kommt. Leute vom Land, die jeden Tag weite Strecken im Auto zurücklegen, um arbeiten zu gehen, die Kinder abzuholen oder einzukaufen. Alleinerziehende Mütter, Menschen ohne Lohnarbeit, Rentner*Innen. Ein paar Kleinunternehmer, mit denen es schwieriger ist über prekäre Lebensumstände zu sprechen, die aber trotzdem Probleme haben, ihr Unternehmen über Wasser zu halten, obwohl Sie Macrons neoliberalen Bild eines Self-Made-Man entsprechen. Menschen mit Migrationsgeschichte, die in prekären Arbeitsverhältnissen stecken. Alles in allem eine Vielzahl von Menschen, die oft als „unpolitisch“ gelabelt werden, die es aber heute, mitten im Dezember schaffen auf windigen Kreisverkehren zu stehen und die Absetzung der Regierung zu fordern. Seit dem 17. November protestieren die „Gilets jaunes“ (dt. Gelbwesten), blockieren die Straßen und besetzen Strategisch wichtige Punkte in den Städten und auf dem Land. Paris ist zum wöchentlichen Treffpunkt geworden.

Der schwarze Rauch über den Dächern ist ergreifend. Während der letzten Wochenenden herrschte eine greifbare insurrektionalistische Atmosphäre. Menschen, die das Demonstrieren nicht gewohnt sind errichten mit Gelassenheit Barrikaden. Gelassen, weil sie eine vollkommene Legitimität verspüren, ihre Wut zu zeigen. Viele von Ihnen kennen noch nicht die Repression und die Gewalt des Staates und sind darum weniger vorsichtig als die Demo-erfahreneren Militanten. Alte Menschen, Frauen und Männer, Jugendliche, Leute aus den Quartiers Populaires (Bezeichnung für die Ärmeren Stadtviertel, Anm. des Übersetzers), und andere, die offensichtlich der rechten Szene zugeordnet werden können. Die Präsenz von Faschisten in der Gelbwesten-Bewegung lässt sich nicht leugnen, auch wenn sie mit Sicherheit keine Mehrheit bildet. Die Identitäre Bewegung zeigt sich auf den Champs Élysées, Migrant*Innen werden wie gewohnt zum Sündenbock im rechten Diskurs, xenophobische Sprechchöre werden gerufen. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass sich in der Bewegung bisher keine Anführer*Innen und keine zentralisierte Organisation herausgebildet hat. Der rassistische Ton ist deshalb kein Konsens und nicht repräsentativ für alle Menschen, die eine gelbe Weste tragen. Die Bewegung gehört den Faschos nicht mehr als den Quartiers Populaires, den Migrant*Innen oder den LGBTQ (Lesbians/Gays/Bis/Trans/Queers, Anm. des Übersetzers). Letztere spielen eine Tragende Rolle in der Mobilisierung. Das Comité Adama (Benannt nach dem schwarzen Franzosen Adama Traoré, der 2016 von französischen Cops getötet wurde, Anm. des Übersetzers) sowie das Comité CLAQ (Komitee für eine queere Befreiung und Autonomie) haben zu den Demos am 1. Dezember aufgerufen und einen sichtbaren und spürbaren Teil des Tagesgeschehens ausgemacht. Die Leute aus den Banlieues – aus den Stadtzentren ausgeschlossen und in die Peripherie verbannt – sind betroffen von der Sparpolitik, den steigenden Steuern und den niedrigen Löhnen. Deshalb fahren sie jeden Samstag nach Paris oder besetzen die Kreisverkehre in ihren Wohnorten.

Die gesamte Bewegung als rassistisch oder faschistisch zu verurteilen bedeutet deshalb auch alle anderen Leute zu vernachlässigen, die für sie kämpfen und ihr eine Form geben. Auch frühere sozialen Bewegungen, wie die der Loi Travail (Arbeitsgesetz) 2016 und die Proteste im Frühling 2017 waren nicht frei von xénophobischen Äußerungen. Sie wurden von der radikalen linken trotzdem als Legitim angesehen. Derzeit ist es tatsächlich so, dass die Gilets Jaunes den Platz in den Nachrichten füllen, der sonst für Meldung über die Gefahren des Islam und der Migration genutzt wird.

Klar, die französische Flagge und die Marseillaise (Französische Nationalhymne, Anm. des Übersetzers) stören. Ohne die Anwesenheit einer faschistischen Minderheit abstreiten zu wollen ist es dennoch wichtig anzumerken, dass diese Symbole für viele Menschen für ein revolutionäres Erbe stehen. Viele vergleichen Macron mit einem König – ein Bild an dem er mit seinen zeremoniellen Auftritten und Regierungspraktiken großzügig mitgearbeitet hat – und rufen zur Stürmung des Élysée (Amtssitz des franz. Präsidenten, Anm. des Übersetzers) in Anlehnung an den Sturm auf die Bastille auf. Der rassistische Diskurs ist nicht die Basis dieser Bewegung.

Die Bewegung richtet sich gegen alles und jene, die für das soziale Elend verantwortlich sind: Die Abschaffung der Vermögenssteuer, die astronomischen Gehälter der Regierungseliten, die Verringerung des Wohngeldes. Im Mittelpunkt stehen der Staat, Großkonzerne und die Eliten. Sichtbar wird dies durch Aktionen wie die Blockade der Fabrik von Louis Vuitton, l’Oréal und Amazon. Die Villa des Präsidenten des französischen Unternehmerverbandes wurde mit einem Banner geschmückt. Die altbekannte Islamophobie der Medien wird überschattet von sozialen Forderungen. Laurent Wauquiez von den Republikanern sowie Marine Le Pen riefen dazu auf am 15. Dezember nicht zu demonstrieren, um der Opfer des Straßbourger Attentats zu Gedenken. Sie forderten Ruhe und Ordnung. Von einem Großteil der Demonstrierenden wurde dieses Manöver durchschaut und sie gingen dennoch auf die Straße.
Die Gilets Jaunes vereinen eine Reihe von Kämpfen. Marseille zeigt diese Vielseitigkeit sehr gut. Hier gibt es seit einiger Zeit ein aktives Protestleben. Zum einen gibt es den Kampf um sicheres Wohnen, nachdem im Herbst mehrere Gebäude, in denen überwiegend arme Menschen lebten, im Stadtzentrum eingestürzt waren. Zum anderen gehen die Menschen gegen die Gentrifizierung des Viertels rund um den belebten Treffpunkt „La Plaine“ auf die Straße. Hinzu kommt die Studierendenbewegung. Sie Alle schließen sich den Gilets Jaunes an und schaffen somit eine starke Heterogenität. Die Riots, die Barrikaden, die kaputten Schaufenster sind die Spektakel der Samstage, nicht nur in den Großstädten. So ging zum Beispiel die Präfektur in „Puy en Velay“, einer Kleinstadt in Südfrankreich, am 8 Dezember in Flammen auf.

Der Staat zögerte nicht, die großen Geschütze aufzufahren. Gepanzerte Wagen, Pferde und tausende Cops füllen an den Wochenenden die Straßen. Die Repression ist gewaltvoll und radikalisiert so auch jene, die vor den Demos weniger Polizeikritisch waren. Sie zeigt jedoch Wirkung. Viele Militante haben mittlerweile Angst vor den nächsten Riots. Einige behaupten, dass die Bewegung nichts als Gewalt produziert, die die Leute berauscht, aber nicht weiterbringt. Im Gegensatz zu früheren Bewegungen ist es diesmal so besonders, dass sie sich auch außerhalb von Paris abspielt. Die unmöglichsten Orte werden besetzt, Menschen vereinigen sich und zeigen sich solidarisch. Wir treffen ein paar Frauen in der Normandie, die uns erzählten, dass sie sehr gerne jeden Abend zum Kreisverkehr kommen, es sei der beste Moment des Tages. Sie seien dort nun öfter als zu Hause, dass sie Leute kennengelernt haben und nun nichtmehr alleine sind. Auf einer dieser Besetzungen wurde auf einer der abendlichen Vollversammlung beschlossen, dass kein Alkohol erwünscht ist – „Sonst gibt’s zu viel Ärger“. Die Autos hupen und Passant*Innen bringen Essen und Trinken. Es wird übers Angeln und die kommenden Vorhaben im Leben geredet.

Es ist ein interessanter Moment, denn die Leute lernen sich kennen, brechen aus ihrer Routine aus, ihrer Vereinzelung, ihrer Stille und ihrer Apathie. Es wird sowohl über soziale Fragen als auch über praktische Dinge des gemeinsamen Lebens gesprochen. In Saint-Nazaire, einer Stadt bei Nantes, haben die Gilets Jaunes ein Gebäude einer Immobiliengesellschaft besetzt und in Haus des Volkes umbenannt (Der Volksbegriff „peuple“ ist in Frankreich nicht wie in Deutschland von rechts besetzt, Anm. des Übersetzers). Dieser selbstverwaltete Ort ist seit Ende November geöffnet. Die meisten Besetzer*Innen würden sich nicht im entferntesten als radikal bezeichnen. Sie lernen hier ihre Ideen mit anderen zu teilen und ihren Alltag als Gruppe zu gestalten. Zum ersten Mal ergreifen sie in einer großen Versammlung das Wort und rufen zur kollektiven Organisierung auf. Die Gilets Jaunes von Saint-Nazaire haben außerdem von Anfang an auf ihren antirassistischen Ansatz verwiesen. Dies geschah in Form eines Redebeitrags während der Blockade des Hafens.

An einer Mautstation in den Pyrenäen wurde für ein Liebespaar, das sich während der Besetzung kennenlernte, eine symbolische Hochzeit organisiert. Diese, vielleicht an sich belanglose, Anekdote zeigt beispielhaft die Lebhaftigkeit, den Einsatz und die Kreativität, die aus dem Kampf und den damit verbundenen Begegnungen entstehen können.

Für die radikale Linke ist es schwierig sich in die Bewegung einzubringen. Wir haben sie nicht erwartet und sie am Anfang schlechtgeredet, haben uns nicht an den Forderungen nach mehr Kaufkraft und einem besseren Leben à la Auto-Arbeit-Eigenheim beteiligt. Wir müssen aber akzeptieren, dass diese Dinge für eine Mehrheit der Bevölkerung zur Lebensrealität dazugehören. Es scheint als wären diese „simplen“ Forderungen ein Schutz davor das gesamte System infrage zu stellen. Und dennoch stehen die Menschen nun auf der Straße und Fordern „Macron démission“ (Tritt zurück, Macron!). Sie richten sich auch gegen die Verantwortlichen des Klimawandels. Sie wollen nicht für die Fehler der Regierung bezahlen. Das sind die Personen, die aus linker Perspektive keine radikale Meinung haben, mit denen wir nicht unseren Alltag teilen und deshalb nicht in unser Bild einer Aktivist*In passen.

Die aktuelle Bewegung zeigt auch, wie veraltet die Aktionsformen eines Großteils der radikalen Linken sind. Wir müssen aus unseren Blasen herauskommen und die Leute kennenlernen, die sich derzeit außerparlamentarisch und dezentral organisieren. Wir müssen unsere Ideen mit der Wirklichkeit konfrontieren und in die Debatten einbringen, die auf den Kreisverkehren ausgetragen werden. Jetzt ist auch der Zeitpunkt, an dem viele Menschen bereit sind unseren anti-autoritären, antirassistischen und feministischen Ideen Gehör zu schenken. Mit Demut und ohne Arroganz können wir unseren emanzipatorischen Gedanken einen Platz in diesen Versammlungen geben.

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