Eine Freundin und ich (wohl für die meisten klassisch „männlich“ lesbar, wenn dies auch nicht meine Eigendefinition wäre) sitzen Abends in der WG und diskutieren feministisches Flirtverhalten für männlich lesbare Menschen. Es bleiben im wesentlichen Fragezeichen. Flirten vor einigen Jahren: Das waren heteronormative Rituale die vor gelebt, einstudiert und in Pro7-Rom-Coms¹ als Lehrfilme in die Köpfe von Jugendlichen eingehämmert wurden. Den Spielregeln dieser Balzrituale lagen klare Geschlechterrollen zu Grunde, wobei die jeweils weibliche Rolle in sexistischer Manier klar als der passive, anhimmelnde und potentiell von Übergriffen betroffene Part eingeteilt war. Wenn das heute immer seltener funktioniert, dann ist das gut so – denn dieses sexistische Flirtverhalten gehört ebenso wie der gesellschaftliche Sexismus, den es produzierte endlich auf den Müllhaufen der Geschichte.
Mensch, der den feministischen Kampf und die im Alltag ständig Betroffenen von sexueller Gewalt unterstützen möchte, hat dabei immer Trauer, Ohnmacht und Wut im Kopf über das was verschiedenste Freund_innen erleben: Teils hunderte von geschmacklosen, übergriffigen Nachrichten auf Single-Portalen, ständige, plumpe Anmachen, Objektivierungen und sexuelle Belästigungen im Alltag. Es ist klar: Mensch will ums Verrecken nicht in diese Kerbe schlagen, keine solchen Assoziationen wecken und mensch ekelt sich vor einem Großteil der Menschen, die ebenso wie mensch selbst, männlich sozialisiert sind.
Nun stellt sich aber die Frage, wie kommen wir denn heute zueinander? Klar sind dabei einige Grundregeln: Weiblich lesbare Menschen sind nicht mehr per Geschlechtszuweisung in der passiven Rolle. Insgesamt ist nicht nur nicht klar, ob jemand auf einen steht, sondern es ist darüber hinaus bei einer Begegnung nicht klar welchen Sex, welches Gender², welches Begehren³ und welche Beziehungskonzeptionen (z.B. poly- oder monoamor) der_die andere repräsentiert. Solche Fragen gilt es also in das zukünftige Flirten, was letztlich ja nur eine spielerische Form des Abklopfens von gegenseitigem Interesse ist, einzubauen.
Beim Gespräch stellen wir fest, dass es noch viele Unklarheiten gibt. In einer Flirtsituation mit klassisch männlich und weiblich lesbaren Akteur_innen ist der Fall dann einfach geregelt, wenn die weiblich lesbare Person einfach den ersten Schritt macht und ihr Interesse mehr oder weniger offensiv artikuliert. Soweit so gut. Nur heißt Feminismus ja nun nicht, dass alle weiblich lesbaren Menschen sich bitte automatisch einen offensiven, extrovertierten und selbstsicheren Charakter zulegen sollen. Menschen sind verschiedenen und die Legitimität dessen gesellschaftlich anzuerkennen, ist ja auch eines der schönsten Zukunftsziele des Feminismus.
Männlich lesbare Menschen haben dabei ebenso viel zu gewinnen. Gerade wenn sie selbst unsicher und schüchtern sind, befreit es sie von der müßigen und peinlichen Rolle sich wie ein Gockel aufspielen zu müssen um Beachtung zu finden.
Probleme gibt es dennoch: Gemeinsame Rituale, ein Interesse klar kenntlich zu machen, ohne potentiell übergriffig zu sein, fehlen. So wird Respekt schnell mit Desinteresse verwechselt, schüchterne oder um Respekt bemühte Personen bleiben auf der Strecke und gerade abseits von klar politisch konnotierten Räumen bleiben immer noch v.a. die nicht allein, deren Flirtverhalten eigentlich nicht klar geht. Frustrierend und politisch höchst fragwürdig.
Auf der Suche nach Lösungen durchstreife ich am nächsten morgen das Internet. Was ich finde ist ein Emma-Artikel, der nur graduell weiterhilft⁴. Danach kommt ein Artikel „Flirten ohne Creepen“⁵ (creepen – Wort für übergriffig werden????), den ich hoffnungsvoll anklicke. Und ja, der Artikel lohnt tatsächlich (auch wenn der Tonfall in seiner berechtigten Wut viele einschüchtern dürfte) nur eben leider nur in puncto „nicht creepen“. Wer sich neue Anregungen für ein feministisches, respektvolles Flirtverhalten erhofft, geht auch hier leer aus. Auch hier bleibt es im wesentlichen dabei: „Warte bis dich jemand anspricht.“ Wenn das beide Seiten machen, weil sie z.B. unsichere Personen sind, tja dann wird’s leider öde.
Es folgt diverser antifeministischer Mist, von wegen „Männer können sich ja gar nichts mehr trauen… blabla.“ Der mich zweifeln lässt, ob meine Suche irgendeinen Sinn hat. Denn meistens wird hier nur angeprangert, dass mensch keinen oberflächlichen, lookistischen⁶ Mist mehr verbreiten kann. Wohltuend da das Resümee aus einer TAZ-Kolumne von Magarete Stokowski⁷, die schreibt:
„Es gibt eine einzige feministische Flirtregel, die man sich im Übrigen sehr leicht merken kann, und die lautet: Sei kein Arschloch. Fertig. That’s it. Unisex übrigens. One size fits all. So praktisch. Der Rest ist ein bisschen gesunder Menschenverstand, Anarchie und Liebe, und das ist genau so schön, wie es klingt.“
An sich, volle Zustimmung. Nur gibt’s dann eben doch unbeholfene Menschen wie mich, die es noch ein wenig detaillierter gebrauchen könnten.
Es folgte ein verstörender Zufallsausflug in die Internetwelt der deutschsprachigen Pick-Up-Szene⁸, die sich selbst z.T. sogar als sexpositiv feministisch zu begreifen scheint. Davon abgesehen, dass in den von mir gefundenen Artikeln am laufenden Band sexistische Geschlechtervorstellungen reproduziert werden, geht es hier auch ganz klar um die Täuschung potentieller Sexualpartner_innen und damit um alles andere, als einen emanzipatorischen Diskurs. Erwähnenswert ist die Gruselsafari dennoch, weil ich in den Artikeln feststellen musste, dass die ein oder andere Grundannahme dieser Bewegung mittlerweile zur populären Binsenweisheit geworden ist.
So beschäftigt sich ein Großteil des Textes damit, nicht „needy“ also grob übersetzt bedürftig zu wirken. Diesen Tipp vernimmt mensch durchaus auch in linken Kreisen und verbeugt sich damit letztlich vor der neoliberalen Ideologie: Sei stark, wirke immer souverän, zeige keine Schwächen. Das ist ein großes Problem, denn von einem emanzipatorischen Blickwinkel aus ist das natürlich absoluter Bullshit. Neben dem sehr dringlichen und vordergründigen Kampf gegen geschlechtsbezogene Ausbeutung und unmittelbare sexuelle Übergriffe und Diskriminierung ist es eine der schönsten Zielsetzungen des Feminismus, genau dieses ständige Verstellen vor anderen und das Sich-Hinbiegen in irgendwelche Rollen zu überwinden. Männlich lesbare Menschen haben dabei v.a. erst mal die Aufgabe, den nicht männlich lesbaren und sozialisierten Menschen dabei Verbündete zu sein, ihre Privilegien zu reflektieren und oft erst mal respektvoll in den Hintergrund zu treten. Was männlich sozialisierte Menschen bei diesem Prozess jedoch erkämpfen können, ist, dass eigentlich Verbotene: Bedürfnisse, Schwächen, insgesamt Emotionen, die einen verletzlich erscheinen lassen, endlich auch mal kommunizieren zu können und Respekt dafür einzufordern.
Nun ist es aber leider so, dass eine Präferenz, gerade in amouröser Hinsicht, wesentlich länger braucht um sich zu ändern, als dass das mit einer bewussten Überzeugung der Fall ist. So warten auch viele Feminist_innen eben noch darauf, dass der männlich lesbare Part in einer heterosexuellen Konstellation den ersten Schritt macht und so werden männlich lesbare Menschen in dieser Konstellation auch immer wieder die frustrierende Erfahrung machen, dass „Schwäche“ zu zeigen für viele eigentlich emanzipierte Genoss_innen unterbewusst immer noch ein Lustkiller ist. Scheiße.
Was also tun? Die besten und konkretesten Antworten fanden sich in einer Diskussion auf dem Blog „Rabentochter“. Verunsicherung für uns als männlich sozialisierte und männlich lesbare Menschen ist bei diesem Thema normal und dem aktuellen Kampf um gesellschaftliche Normalitäten geschuldet. Die Verunsicherung ist unangenehm, zumal wir als Einzelpersonen nun mal nur ein Leben haben, in dem wir lieben, leben, lachen wollen. Gleichzeitig sind die Probleme, die wir in dieser Situation haben, eben Jammern auf verdammt hohem Niveau, verglichen mit dem Druck, der Diskriminierung und den Übergriffen, die nicht männlich lesbare Mitmenschen ertragen müssen. Das sollten wir zunächst immer im Kopf haben, um uns nicht lächerlich zu machen und erneut in die Chauvinismusfalle zu stolpern.
Der nächste Punkt ist, anzuerkennen, dass es ohne Kommunikation in einer Gesellschaft wie wir sie aufbauen wollen, nicht laufen kann. Das kann einerseits darüber funktionieren, dass mensch ein Flirt-Gespräch schnell auf Feminismus lenkt um einige wichtige Punkte klarzustellen, zu fordern, dass mensch nur ein klares „Ja!“ auch als Ja aufnimmt und Spielchen a ĺá „kalte Schulter zeigen“, „erobern“ usw. in dieser Konstellation nicht funktionieren. Spannend wäre in Hinblick darauf, gerade für schüchterne Menschen, ein universelles Code-System, z.B. in Form von Buttons, wie mensch es aus homosexuellen Szenen in Form des „Hanky-Codes“¹⁰ kennt.
Daneben ist die Alternative zum früher im Film idealtypischen Kuss auf den Mut nach dem Try- und Error-Prinzip einfach: Fragen! „Darf ich mich neben dich setzen?“, „Hättest du Lust mal einen Nachmittag was mit mir zu unternehmen?“ usw., usf.. Sicherlich muss auch das gelernt werden. Kleine Fragen sind aber immerhin unverbindlicher und bei Verneinung nicht so ein „harter“ Korb. Beide Seiten haben so mehr Zeit sich erst mal kennen zu lernen und sich ggf. auch charmanter verstehen zu geben, dass es nicht passt. Wenn dir auch solche Fragen unglaublich schwer fallen: Übe mit deinen Freund_innen! Das kann viel helfen.
Schließlich: Offen die Diskussion führen. Wenn wir es als männlich sozialisierte/lesbare ernst meinen mit der Emanzipation, dann können wir nicht erwarten, dass weniger privilegierte Gruppen auch noch die Konzepte dafür schreiben, wie wir uns cool verhalten können, wie unser gutes Leben in diesem Emanzipationsprozess aussehen könnte. Natürlich, Diskussion und Perspektivenaustausch mit den von unseren Privilegien und Rollen betroffenen Menschen ist unverzichtbar, die kommunikative Initiative ist aber in diesem Fall ordinär unser Job. Genauso wie es unser Job sein sollte, winselnden Maskulinisten im Netz entgegen zu treten, die sich darüber beschweren, dass mensch als starker Beschützer und oberflächlicher Macho immer weniger ankommt.
Wenn ihr also vor ähnlichen Problemen steht wie ich sie in diesem Artikel beschrieben habe, schnappt euch Freunde, denen es potentiell ähnlich geht, tauscht eure Erfahrungen und Unsicherheiten aus. Und wenn ihr gute Ideen habt oder offene Fragen, dann sprecht mit Freund_innen eure Diskussionsstände durch, hört dabei zu, schaut was euch als „Gewinnern“ einer sexistischen Normalgesellschaft vielleicht entgangen ist und führt diese Debatte im Internet/Medien fort!
¹ Romantische Komödien
² Soziales Geschlecht, d.h. welche sozialen Attribute und welche Eigendefinition mensch sich geschlechtlich zuschreibt
³ Also auf welche körperlichen, aber auch Gender-Attribute mensch im Normalfall steht, ob mensch überhaupt ein Mensch ist, der sexuell zu anderen im klassischen Sinne in Beziehung tritt usw
⁴ www.emma.de/artikel/wie-geht-eigentlich…
⁵ http://feminismus101.de/flirten-ohne-creepen/
⁶ Lookismus: Diskriminierung und/oder Bevormundung aufgrund von Äußerlichkeiten, Bestätigung und Abweichung aktueller Schönheitsideale
⁷ http://www.taz.de/!5219576/
⁸ Bezeichnet eine Bewegung, die mit (populär-)wissenschaftlichen Studien unterlegt, Ableitungen für maximal erfolgreiches Flirtverhalten treffen will
⁹ http://rabentochter.blogsport.de/2013/01/30/der-sexismus-im-flirt/
¹⁰ de.wikipedia.org/wiki/Hanky_Code – Anzumerken ist hier, dass das natürlich Blinden und Kurzsichtigen erst mal wenig nützt