Warum wird Kritik an Coronamaßnahmen hauptsächlich der Rechten überlassen?

In einer unserer ersten Diskussionen zu “Wer sind denn diese Querdenker:innen
und wie kann es eigentlich sein, dass Kritik an den Coronamaßnahmen, also krassen Grundrechtseinschränkungen, momentan einem rechten-verschwörungs-schwurbeler Umfeld überlassen wird?”, stellten wir fest, dass auch unsere Perspektiven dazu sehr unterschiedlich waren. Deshalb haben wir versucht, den Verlauf der Diskussion von einigen von uns auch in dieser Form hier abzubilden. Wir wollen versuchen, den unterschiedlichen Nuancen und Fragen Raum zu geben oder Fragen zu stellen.


Text aus dem Zine Zusammenhalt – Kritik und Solidarität in der Corona-Pandemie. Das ganze Zine gibt es als PDF zum download.

LEO: Tatsächlich war ja bei allen die Überraschung ziemlich groß, dass es so viele Leute auf diesen Demonstrationen gab. 40.000 Menschen sind ja doch eine ganze Menge und ziemlich viele Leute für einen Protest in Deutschland.


MEGGIE: Die Schwurbeler:innen-Bewegung erinnert mich zum Teil an das frühe Pegida. Allen ist bewusst, dass hier auch Nazis mitlaufen und finden es okay. Deswegen sind die Leute mindestens rechtsoffen und darum auch erstmal nicht unsere politischen Verbündeten.

JOSUA: Was sollen denn Schwurberler:innen sein?

LEO: Ich hab das auf Twitter gelesen.

MEGGIE: Naja, ich dachte Schwurbeler:innen sind diese Menschen, die zu den Coronademos gehen und weil die alle so unterschiedlich sind, wurde ein Wort gesucht das alle meint?

LEO: Also der Duden sagt: “schwurbeln: verschwurbelt reden; Unsinn erzählen; Gebrauch umgangssprachlich abwertend.”

JOSUA: Ich denke, im Gegensatz zu PEGIDA sind die Querdenkerinnen nicht explizit rassistisch motiviert, sondern äußern sich gegen die Maßnahmen an sich, oder?

LIN: Naja, alle Naziparteien von der AfD, über die Rechte bis hin zum Dritten Weg rufen zu Anti-Corona Demos auf und beteiligten sich mehr oder weniger aktiv an den bisherigen Protesten.

MEGGIE: Das sieht mensch auch daran, dass der Querdenkengründer Ballweg mit Reichsbürger:innen chillt. Auch von „gemäßigten Bürger:innen“ kommen klare Nazisprüche und Anspielungen sowie Täter:innen-Opfer-Umkehr zum Beispiel ungeimpft im Davidstern in Nazi-Optik oder diese NS-Vergleiche wie mit Sophie Scholl. Also sie setzen die momentanen Coronamaßnahmen mit dem Nationalsozialismus gleich und sehen sich als Widerstandskämpfer:innen. Die Bewegung zeigt, wie anschlussfähig rechtslastige, menschenfeindliche Ideologien sind und steht damit schon in einer Tradition mit dem frühen Pegida.

LEO: Dass die Bewegung so divers, widersprüchlich und als schwer zu beschreiben wirkt (Regenbogenflaggen, Friedenssymbolik, Hippie-Ästhetik neben rechten Nazi-Hooligans und Reichsbürgerinnen) zeigt nur, dass unser grobschlächtiges, undifferenziertes politisches Beschreibungsschema, das nur zwischen Rechts und Links unterscheidet, defizitär ist und uns Begrifflichkeiten fehlen, um die (scheinbare) Diversität der Schwurbeler:innen auszudrücken.

JOSUA: Aber es gibt ja auch eine berechtigte Kritik an dem Umgang mit Corona und die wird ja auch auf diesen Demos thematisiert. Also es sind ja auch ganz “normale” Leute dort, Eltern von uns zum Beispiel.

LIN: Ja das stimmt schon, dass es eine berechtigte Kritik gibt, aber du musst halt schauen mit wem du zusammen auf ‘ner Demo bist.

JOSUA: Viele der Leute sind ja aber nicht politisch organisiert oder aktiv. Damit ist das halt ein Ventil für Leute, ihren Unmut auf die Straße zu tragen. Vielleicht sind sie ja auch durch Maßnahmen selber betroffen, also so eine eigene Betroffenheit spielt da ja auch ne Rolle. Wenn ich da meine kleine Firma habe und meine fünf Angestellten in die Kurzarbeit schicken muss. Oder mein kleiner Laden sich die Miete durch die Einbußen der letzten Monate gar nicht mehr leisten kann. Die kennen dann vielleicht auch diese politischen Organisationen gar nicht und können das nicht so einordnen, wie wir das können, die wir uns mehr mit dieser Thematik auseinandersetzen. Außerdem gab es in den letzten Monaten auch keinen Raum, um Kritik an den Coronamaßnahmen loszuwerden, der außerhalb dieser Demos stattgefunden hat.

LEO: Diese Leute sind ja aber eigentlich ziemlich gut situiert, sie kommen aus dem Mittelstand und plötzlich tut sich eine ganz andere Perspektive für sie auf, dass sie Privilegienverlust und Prekarität entgegensehen. Und Polizeigewalt erfahren sie auch. Dadurch verändert sich schlagartig ihr bisheriges Bild und sie bekommen einen Einblick in eine Lebensrealität, welche sie sonst nicht haben.

MEGGIE: Die Komplexität ist schwer abzubilden. Für Querdenker:innen ist es halt einfacher “alles in einen Topf” zu werfen, um eine breite (unkritische) Masse zu erreichen, als sich die Mühe zu machen, Fakten und Sachverhalte auseinander zu dröseln und einzeln zu betrachten.

LIN: Ja da is schon was dran, Quedenken ist halt auch gut organisiert. Die haben zum Beispiel eine eigene Marketingabteilung. Darüber hinaus benutzten sie Schlagwörter wie Freiheit, Demokratie und Diktatur sehr schlau und markant in ihren Aufrufen und Reden. Das spricht natürlich dann auch ein breites Publikum an. Aber trotzdem, wenn du das erste Mal auf so einer Demo warst und die Nachrichten dazu schaust, sollte dir klar sein, mit wem du da gemeinsam auf einer Demo bist.

MEGGIE: Die Kritik an den Verschwörungstheoretiker:innen, Reichsbürger:innen und Nazis, welche auf den Demos rumlaufen, ist notwendig. Und auch die Demo als solches bzw. ihre Teilnehmer:innen müssen sich ganz klar der kritischen Frage stellen, wieso sich nicht schärfer gegen solche Strömungen abgegrenzt wird und Seite an Seite demonstiert wird. Allerdings darf die Kritik über die Zusammensetzung der Demo nicht vergessen werden. Es wurden ja wichtige inhaltlichen Punkte formuliert auf die wir eingehen könnten.

LEO: Ja zum Beispiel an dem Infektionsschutzgesetz wurde nicht so viel Kritik formuliert. Ich habe das Gefühl, wenn ich Kritik äußere, gibt es sofort den Vorwurf sich mit den Querdenker:innen gemein zu machen. Ich finde das ‘ne krasse Einschränkung Kritik äußern zu können.

LIN: Ja ich finde es auch schade, dass sich die Gegenproteste an Nazis abarbeiten. Zum einen gibt es keine Differenzierung in der Betrachtung des Protests und auf der anderen Seite gibt es keine eigene Plattform für Kritik an den Maßnahmen. Und in der linken Ecke ist es seit Beginn des Lockdowns, als es doch noch viel Kritik an Grundrechtseinschränkungen und autoritären Maßnahmen gab, relativ still geworden…

JOSUA: Ja irgendwie gibt es grad eine Trennlinie, entweder du bist für oder gegen Coronamaßnahmen. Es ist verständlich, dass Menschen Angst und Ohnmachtsgefühle gegenüber dieser Pandemie entwickeln. Sie trauen sich dann vielleicht auch nicht die Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen, da sie ihnen eine Art von Sicherheit bieten. Gleichzeitig blockiert auch Übermoralisierung eine offene Debatte. Das erschwert auch eine notwendige und grundsätzliche Staatskritik, weil mensch sofort in eine Schubladen gesteckt wird. Also ich finde es auch total wichtig, eine Kritik an den Coronamaßnahmen aus antiautöritärer Perspektive zu formulieren.

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