Corona und elterliche (Für)sorge 

Ich trage allein die Verantwortung für mein Kind. Im realen Leben. Auf dem Papier hat der Erzeuger Mitspracherecht. Im realen Leben kümmere ich mich um jedes Detail selbst.
Und jetzt auch noch Corona…
Die Kinder sind beunruhigt und ich habe oft keine Antworten. Durchhalten, Abstand halten, aushalten….
Hoffentlich kommt die Kleine nicht in Quarantäne. Dann kann ich meinen Job vergessen, ich bin noch in der Probezeit.

Der Vater meldet sich nach 3 Monaten mal wieder (angedacht waren mal alle 14 Tage):
-Warum sie ihn nicht besuchen kann in Berlin…? 
-Weil ich weiß, dass er Corona nicht ernst nimmt und ich sie nicht während einer Pandemie in ein Risikogebiet schicke.
-So ein Quatsch, Corona sei weniger schlimm als Grippe. Er hat ein Recht, sein Kind zu sehen.
-Warum er das dann nicht außerhalb der kritischen Phasen wahrgenommen hat? Und in den 5 Jahren als wir noch in der Nachbarschaft wohnten? Und er kann sie gern in DD besuchen oder mit ihr aus Berlin rausfahren zur Familie aufs Land.
-…Weil er halt keine Zeit hatte. Außerdem wollte ich ja nach Dresden ziehen. Warum sollte er den Weg auf sich nehmen… Jetzt wolle er sie halt sehen. Nur ich blockiere seine Bemühungen.
-Corona ist der Grund, sage ich.
-Corona ist eine Ausrede. Er kennt niemanden der Corona hat. Ich solle kritischer denken und nicht den Medien glauben… Die Kinder müssen Mundschutz tragen – so ein Quatsch. Er wolle mit ihr und den Nachbarskindern auf den Spielplatz. 
-Es ist schwierig zur Zeit so viele Kontakte zu haben, auch für Kinder.
-Er lasse sich nichts vorschreiben, weder von mir noch von der Merkel.
… 
Am Ende konnte ich den Schutz meines Kindes wahren. 
Ich „freue“ mich schon auf die Impfdiskussion…
 
Wie läuft das eigentlich bei Familien, in denen beide Eltern Corona-Leugner*innen und/oder Verschwörungstheoretiker*innen sind? Wie geschützt sind die Kinder von Menschen, die alles für einen Plan von Bill Gates halten? Werden sie davor gewarnt, sich von Menschen mit Masken fernzuhalten, weil das Spinner sind? Oder werden sie gewarnt, dass es Eliten gibt, die ihr Blut trinken wollen? 
Welche Ängste müssen da entstehen…
Oder: wie sieht die Gesundheitsfürsorge bei diesen Kindern aus?
Es ist kein neues Thema , wie wenig selbstbestimmt Menschen unter 18 Jahren sind und wie sehr sie den Vorstellungen und Glaubenssätzen ihrer Eltern ausgeliefert sind. Immer schon ist das komplex.
Schule schafft nur Erziehung und Bildung im Schema XY. Kritisches Denken, verschiedene Perspektiven und Mut zum anders-sein wird hier kaum vermittelt (und ist auch nicht gewollt). Überall wird Anpassung gelehrt und Kinder lernen selten selbstständiges Denken und sich (ver)wehren.
In dieser Corona-Zeit und den zunehmenden gesellschaftlichen Konflikten gewinnt das Thema jedoch an Komplexität… 
Ich sehe die tausenden Menschen auf dem Bildschirm, die laute Parolen schreien, die mit sinnvoller und sehr dringend notwendiger Kritik nichts mehr zu tun haben. Und ich denke: Hilfe, wie bekommen wir das wieder eingefangen? Und wie muss es bei den Menschen zu Hause gerade laufen? Sehen sie in ihrer Wut noch, dass da Kinder sind, die verunsichert sind, für deren Gesundheit sie ebenfalls Verantwortung tragen und die keine Stimme haben? Was passiert mit uns in einer Gesellschaft, in der keine vernünftigen und kritischen Debatten mehr geführt werden, sondern nur noch geschrien wird? In der jede*r glaubt „die Wahrheit“ zu kennen und sie unhinterfragt an junge Menschen weitergeben zu müssen? Und was passiert mit jenen Menschen, die aufgrund ihres Alters von vornherein kein Recht haben, an solchen Debatten teilzunehmen…? 
 
Diesen und weitere Artikel findest du in unserem Zine: Zusammenhalt – Solidarität und Kritik in der Coronapandemie.

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