Wenn du Leute Anfang 2020 in Belarus gefragt hättest, wie lange die Diktatur von Lukaschenko noch besteht, dann hätten sie dich wie einen Narren angeschaut. In einer respektierten Diktatur werden solche Fragen nicht gestellt, denn alle wissen, was passieren kann. Prinzipiell ist es so, dass die Herrschaft großer Führer eher zeitlos ist. Aber die Situation hat sich in den letzten 8 Monaten so radikal verändert, dass Menschen in Belarus auf die Straße gehen. Zum ersten Mal in der neuen Geschichte Belarus haben die Menschen in mindestens 33 verschiedenen Städten des Landes die Polizei zurückgeschlagen.
Menschen in Belarus sind heute in einem neuen Land aufgewacht. Darin wird offen über den Hass auf die Regierung gesprochen und die Menschen bereiten sich auf gewalttätige Konfrontationen mit der Polizei und dem Staat vor. Sie diskutieren online und praktizieren wirksame Methoden des Widerstandes. Mehrere Fabriken streikten am Tag nach den Wahlen.
Und obwohl die Wahlkommission wieder einmal über den Sieg des Diktators berichtet, verlor Lukaschenko objektiv gesehen die Wahl. Er verlor die Wahl nicht gegen einen bestimmte:n Kandidat:in, sondern gegen die belarussische Bevölkerung, die sagte, 26 Jahre sind genug.
Wie hat sich Belarus von einer stabilen Diktatur, in der die friedlichsten Menschen leben, in ein Protestzentrum in Europa verwandelt?
Wirtschaftliche und politische Krise
Wirtschaftlich gesehen ist Belarus kein unabhängiges Land. Viele Jahre lang konnte das belarussische Wirtschaftswunder nur auf Kosten des billigen Öls von Putin und direktem Geldtransfer aus dem Kreml überleben. Im Gegensatz zu der Tatsache, dass Lukaschenko und Putin keine Freunde sind, funktionierte dieser Plan relativ lange, während die russische Regierung in Ölgeld schwamm.
Mit dem Preisfall des schwarzen Goldes, stand die russische Regierung vor der Frage der Umverteilung der Ressourcen. Die Beamten begannen zu prüfen, wo das investierte Geld zu irgendeinem Ergebnis führte. Belarus lieferte keine besonderen Ergebnisse. Im Gegensatz zu allen Investitionen dehnte Lukaschenko seine Macht aus und behinderte die Integration von Belarus in Russland – ein Prozess, der bereits in den 90er Jahren unter Jelzin eingeleitet worden war.
Die Instabilität Lukaschenkos in den letzten 10 Jahren hat gezeigt, dass sich die russischen Behörden nicht wirklich auf ihn verlassen können. Die Zuwendung zum Westen 2015, schürte das Feuer der Zwietracht zwischen Moskau und Minsk weiter. Anfang 2020 befand sich Lukaschenko in einer sehr schwierigen Lage. Der Abschluss neuer Öl- und Gasverträge ist viel schwieriger geworden. Die belarussischen Behörden wollten zumindest minimale Zugeständnisse, aber Russland war erst bereit, diese Zugeständnisse zu machen, wenn das Projekt des gemeinsamen Staates mit einer gemeinsamen Währung und anderen Punkten für die Aufnahme von Belarus durch Russland beginnen würde.
Politische Schwierigkeiten mit Russland führen traditionell zu wirtschaftlichen Problemen im Land. Während der letzten 5 Jahre versuchte Lukaschenko, diese Abhängigkeit durch die Zusammenarbeit mit dem Westen zu kompensieren, aber westliche Zuschüsse und Kredite können die belarussische Wirtschaft nicht allein am Laufen halten. Anfang 2020 begann der belarussische Rubel gegenüber anderen Währungen stark zu fallen. In den letzten 20 Jahren haben es die Belaruss:innen geschafft, mehrere Wellen eines solchen Falls zu überstehen, die größte davon im Jahr 2011. Der Fall des belarussischen Rubels bedeutet für viele Belaruss:innen auch eine reale Minimierung ihres Einkommens. Darüber hinaus entstanden Probleme mit der Zahlung von Gehältern in staatlichen Unternehmen.
Coronavirus mit Traktoren bekämpfen
Lukaschenko erklärte, es sei auf wirtschaftliche Probleme zurückzuführen, dass sich Belarus keine Quarantänemaßnahmen gegen das Coronavirus leisten könne. Während der Diktator zu Beginn der Epidemie noch schrie, dass die Menschen durch Arbeit auf dem Feld und Saunabesuchen es vermeiden könnten sich anzustecken, musste er einen Monat später die wahren Gründe für die fehlende Quarantäne zugeben.
Das Coronovirus erwies sich als eine der schwerwiegendsten Herausforderungen für die belarussische Diktatur, an der diese scheiterte. Statt des typischen Populismus und der Sorge um ihr Volk überließen die Behörden die Bevölkerung der Selbstversorgung.
Die medizinische Versorgung in Belarus ist grundlegend kostenlos, aber viele Leistungen müssen bezahlt werden, da aus dem Haushalt nicht genügend Geld für Medikamente und medizinische Ausrüstung zur Verfügung steht. In vielen Fällen war es unmöglich, auf Coronaviren zu testen. Viele konnten es sich nicht leisten, zu Hause zu bleiben und gingen zur Arbeit. Es ist schwierig, das tatsächliche Ausmaß der Coronavirus-Epidemie in Belarus einzuschätzen. Der Staat ist die einzige Institution, die über echte Zahlen verfügt, und diese Zahlen werden geheim gehalten. Darüber hinaus wurden viele Fälle von Coronavirus als Lungenentzündung bezeichnet, darunter auch tödliche.
Um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, haben sich in der Tat kleine Unternehmen und eine große Anzahl einfacher Leute in dezentraler Unterstützung des medizinischen Personals eingebracht. Einige Restaurants und Bars bereiteten aus den Spenden der Stadtbewohner Essen für das medizinische Personal zu. Wie in anderen Ländern wurden auch hier durch Initiativen an der Basis Schutzmasken hergestellt. Taxifahrer:innen transportierten medizinisches Personal ohne Bezahlung.
Einige Monate später hatten allerdings viele Menschen das Gefühl, dass der Staat sie im Stich gelassen hat. Auf der anderen Seite gab es ein Gefühl der Solidarität, die Gewissheit, dass Nachbar:innen, Freund:innen und sogar Fremde aus dem Internet Menschen in schwierigen Situationen unterstützen würden. Dieses Gefühl hat vielen Belaruss:innen die Bedeutung der Öffentlichkeit im Gegensatz zum Staat zurückgegeben. Solidarität ist nicht nur ein Wort, sondern eine direkte Praxis geworden.
Und wenn in vielen Ländern, die unter dem Einfluss des Coronavirus standen, mit dem Rückgang der Zahl der Infizierten auch die Solidarität zu sinken begann, so wirkten die Strukturen der Solidarität in Belarus auch in anderen Bereichen weiter. So verlor beispielsweise im Juni die Hälfte von Minsk den Zugang zu sauberem Wasser. Und während die Beamt:innen darauf beharrten, dass es keine Probleme mit Wasser gebe, organisierten und versorgten die Bewohner:innen der Bezirke mit sauberem Wasser die bedürftigsten Teile der Stadt mit Wasser.
So war eines der wichtigsten Ergebnisse des Coronavirus (die Epidemie ist noch nicht vorrüber) das wachsende Bewusstsein für die kollektive Stärke und die Ergebnisse, die durch gemeinsame Aktionen erreicht werden können.
Wahlen während der Pandemie
Es war ein Fehler, dass Lukaschenko sich entschied, die Wahlen mitten in der Coronapandemie anzukündigen: Anfang Mai wurden die Wahlen für August angekündigt. Damit wurde der Moment der größten Unzufriedenheit mit den Behörden gewählt. Dank dessen begannen die Wahlkampagnen seiner Gegner:innen buchstäblich von den ersten Tagen an eine enorme Unterstützung zu gewinnen. Einer der Präsidentschaftskandidaten, der Blogger Sergej Tichanowski, begann am Ort der Unterschriftensammlung Kundgebungen mit offenem Mikrofon abzuhalten. Dieses Format zog eine große Zahl von Menschen im ganzen Land an, die dadurch eine Plattform erhielten, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Wenige Wochen später wurden Tichanowskij selbst und viele andere wichtige Oppositionspolitiker durch inszenierte Strafverfahren festgenommen und angeklagt.
Anstatt den Protest und die Unzufriedenheit mit den Behörden aufzulösen, provozierte die Repression eine noch stärkere Organisation um einen weiteren Kandidaten – den Bankier der Belgazprombank (Tochter von Gazprom) Viktor Babariko. Im Gegensatz zu anderen Kandidat:innen war Babariko nicht im Politikbusiness beteiligt, und für viele sah er aus wie ein „gemäßigter“ Kandidat, der faire Wahlen forderte und keine illegalen Demonstrationen im ganzen Land plante. Im Gegensatz dazu wuchs Babarikos Popularität auch bei den gemäßigteren Teilen der Bevölkerung.
Infolgedessen beschlossen die Behörden, Babariko und seinen engsten Kreis wegen Korruptionsvorwürfen zu verhaften. Dieser Schritt löste eine weitere Welle der Unzufriedenheit aus, deren letzte Etappe die Ankündigung war, dass die beiden größten Kandidaten der Opposition im Rennen um die Präsidentschaft nicht registriert werden würden. Diese Entscheidung führte zu großen Protesten im ganzen Land mit den ersten Zusammenstößen mit der Polizei in Minsk. Die Demonstrant:innen befreiten Inhaftierte und sahen, dass OMON (Bereitschaftspolizei) absolut unvorbereitet auf eine gewalttätige Konfrontation war.
Die Zusammenstöße mit der Bereitschaftspolizei im Juli diesen Jahres waren für viele in der Gesellschaft ein Wendepunkt. Die Diktatur, die 26 Jahre lang durch die Unterstützung der Sicherheitskräfte zum Teil auf ihrer Unzerstörbarkeit aufgebaut worden war, war plötzlich äußerst zerbrechlich. Videos der verwirrten OMON-Einheit verbreiteten sich schnell über das Internet und zeigten, dass man nicht 3 Jahre lang in Lagern in Russland oder der EU trainieren muss, um gegen die Polizei zu kämpfen.
Lukaschenko hat nur seiner einzigen ernsthaften Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, der Frau von Sergej Tichanowskij, die Registrierung nicht verweigert. Tichanowskaja hatte ursprünglich geplant, für das Präsidentenamt zu kandidieren, um ihrem Ehemann und andere Regimegegner:innen Öffentlichkeit zu geben. Doch nachdem die Mehrheit der Politiker:innen verhaftet worden war, blieb sie die einzige Kandidatin, um die sich die Wähler vereinigen konnten.
Tichanowskaja ist keine Politikerin und versucht auch nicht, eine zu werden. Die wichtigste Voraussetzung für ihren gesamten Wahlkampf sind Neuwahlen. Sie sagt offen, dass sie keine Pläne hat und nicht an der Macht bleiben will. Nach dem Sieg gegen Lukaschenko plante sie, neue faire Wahlen anzukündigen, die das Land hätte verändern sollen.
Eine solch einfache Forderung hat viele politische Gruppen vereint. Aktivist:innen aus den Stäben der inhaftierten Politiker:innen engagierten sich in ihrem Wahlteam. Schon der Wahlkampf Tichanowskajas stützte sich stark auf die Selbstorganisation der Bevölkerung in verschiedenen Teilen des Landes. Es wurden Treffen mit der Kandidatin auch an vielen Orten des Landes registriert, die die Kandidatin selbst nicht besucht hatte. Stattdessen gab es eine Bühne für Reden und ein offenes Mikrofon. Auch hier wurde das Mikrofon nur selten von Berufspolitiker:innen in die Hand genommen, die Repressalien befürchteten, sondern eher von der arbeitenden Bevölkerung und kleinen Unternehmen. In einigen Städten sprachen auch Anarchist:innen auf der Bühne.
Die Popularität von Tichanowskaja stieg innerhalb weniger Wochen sprunghaft an. Im Juli gelang es ihr, eine der größten Kundgebungen in der Geschichte des Landes zu organisieren – 50.000 Menschen in Minsk. In anderen Städten versammelte sie mehrere hundert bis 8.000 Menschen. Lange Zeit unternahmen die Behörden keine Maßnahmen und erlaubten den Menschen, sich zu versammeln. Vielleicht spielte dabei der Sexismus von Lukaschenko eine Rolle, der Frauen nie als ernsthafte Gegnerinnen der Behörden angesehen hat. An der Spitze des Teams von Tichanowskaja standen Frauen. Tichanowskaja kam auch mit zwei Koordinatorinnen ihrer Kampagne auf die Bühne.
Wenige Tage vor der Wahl besannen sich die Behörden plötzlich. Aber statt die Versammlungen zu verbieten, entschieden sie sich den Narren zu spielen – alle für Kundgebungen registrierten Plätze wurden plötzlich für Regierungsveranstaltungen genutzt oder es wurden auf diesen Reparaturen durchgeführt. Dieses Versammlungsverbot rief die nächste Welle der Unzufriedenheit hervor, führte aber nicht zu einer aktiven Phasen des Protests, da nur noch wenige Tage bis zu den Wahlen blieben.
Gleichzeitig begann die belarussische Polizei in der letzten Woche damit, Blogger:innen aktiv festzunehmen. Solche Taktiken sind nicht neu und werden von den Behörden seit vielen Jahren angewandt – vor jeglichen Protesten werden ständig Journalist:innen und Blogger:innen festgenommen, die online über diese Proteste berichten könnten.
Terroristische Organisation „Anarchist:innen
Bevor wir direkt zum Wahltag übergehen, noch eine kurze Einführung in die anarchistische Bewegung in Belarus:
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind Anarchist:innen im Land wieder aufgetaucht. In den frühen neunziger Jahren trugen einige Gruppen wesentlich zur Bildung der Arbeiter- und Umweltbewegung bei. Anarchist*innen spielten eine der Schlüsselrollen bei der Verlängerung des Moratoriums für den Bau des belarussischen Atomkraftwerks im Jahr 1999 (2009 wurde dieser Kampf verloren).
Während der gesamten Zeit der Diktatur waren Anarchist*innen an wichtigen politischen Ereignissen beteiligt, seien es Neuwahlen, die Bewegung gegen den Bau des Atomkraftwerks oder Proteste gegen das „Parasiten-Gesetz“. Und in den meisten Fällen wurde die anarchistische Agenda von der Bevölkerung sehr positiv wahrgenommen. Vielleicht haben sie sie irgendwo nicht ganz verstanden, aber akzeptiert.
Ab 2013-2014 waren Anarchist:innen fast die einzige politische Kraft geworden, die sich noch in der Straßenagitation engagierte. Die meisten Oppositionsparteien hatten den aktiven Kampf gegen die Diktatur nach den Ereignissen auf dem Maidan 2014 in der Ukraine aus Angst vor der russischen Besetzung eingestellt. Heute stehen einige Oppositionspolitiker:innen immer noch auf der Position „besser Lukaschenko als Putin“. Ein Teil der Opposition ertrunk in Repression. Dies war viel einfacher, denn die Repression gegen führende Politiker:innen konnte die Bewegung stoppen.
Aufgrund ihres Aktivismus ziehen Anarchist:innen ständig die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden auf sich. Einige Aktivist:innen sind wegen symbolischer Aktionen im Gefängnis, andere auf der Flucht. Es gibt Initiativen, um armen Menschen zu helfen, und einen antikapitalistischen Free-Market. Repressionen gegen Anarchist:innen bringen selten das gewünschte Ergebnis. Sie werden von den oppositionellen Medien thematisiert und erregen so wieder neue Aufmerksamkeit und Energie für die Bewegung.
Heute ist die Popularität von Anarchist:innen in bestimmten Jugendkreisen recht hoch, da es außer diesen keine politischen Bewegungen mehr gibt.
Wiederwahl
Schon vor Beginn des Wahlkampfes erwarteten viele Menschen gerade wegen der Wirtschaftskrise und des Coronavirus große Proteste in Belarus. Es war für viele logisch, ihre Protestbemühungen auf den Wahltag und die folgenden Tage zu konzentrieren. So riefen beispielsweise große Medienplattformen in sozialen Netzwerken und Gruppen in Telegrammen mehrere Wochen vor den Wahlen zu Protesten am Wahltag auf.
Sowohl die Demonstrant:innen als auch die Behörden bereiteten sich auf diese Wahlen vor. Im Internet gab es Bilder von Militär- und Polizeiausrüstung. Lukaschenko nahm an einer Schulung der Bereitschaftspolizei teil, um Proteste aufzulösen. Es war klar, dass die Behörden nicht versuchen würden, den Grad der Unzufriedenheit zu verringern, sondern vielmehr die Bevölkerung mit Gewalt unter Druck zu setzen.
Es ist nicht überraschend, dass am Abend des 9. August Tausende von Menschen aus dem ganzen Land auf die Strassen gingen. Nur den Berichten der Behörden selbst zufolge fanden die Demonstrationen gleichzeitig in 33 Städten des Landes statt. Mehr als 50.000 Menschen nahmen an diesen Protesten teil. Die größten Demonstrationen fanden in Brest, Baranowitschi und Minsk statt. In anderen regionalen Städten versammelten sich mehrere tausend Menschen.
Protestierende im Zentrum von Minsk am 9. August 2020.
Interne Truppen und Polizisten aus dem ganzen Land wurden in Minsk zusammengezogen um gegen die Protestiernden vorzugehen. Am Tag vor der Wahl zogen Transportkolonnen aus den Regionen nach Minsk. Am Wahltag wurde die Stadt abgeriegelt. Busse ohne Nummernschilder fuhren durch die Stadt und hielten wahllos Fußgänger:innen oder Journalist:innen fest. Der Internetzugang war im ganzen Land abgeschaltet oder stark eingeschränkt.
Am Abend hatte sich die Situation radikal geändert. Menschenmassen begannen, auf die Straße zu gehen und sich auf das Zentrum zuzubewegen. Die gleiche Situation wurde in kleineren Städten des Landes beobachtet. Gegen Abend begannen die ersten Zusammenstöße mit OMON, als die Menschen versuchten, Gefangene zu befreien. Die Bereitschaftspolizei selbst lief zunächst in T-Shirts und Schlagstöcken ohne besondere Uniformen durch die Stadt. Die Angriffe auf OMON machten schnell deutlich, dass die Situation an diesem Tag nicht normal sein würde, wenn Menschen aus der Menge herausgezogen und einfach festgenommen wurden.
Nur eine Stunde nach den ersten Zusammenstößen ähnelte das Zentrum von Minsk einer Kampfzone. Tschechische Lärmgranaten, kanadische Wasserwerfer, weißrussische MAZs – alles sollte die Demonstrant:innen zerstreuen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes begannen die Menschen, Barrikaden zu errichten und auch direkt mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzutreffen. In verschiedenen Teilen des Landes wurde so in der Nacht eine große Zahl von Menschen aus den Händen der Ordnungskräfte befreit.
Einsatz von Blendgranaten gegen Protestierende in Minsk am 9. August.
Die Solidarität während der Proteste zeigte erneut die unglaubliche Kraft der kollektiven Opposition gegen die Diktatur. Die Menschenmengen lähmten entgegen aller Vorbereitungen jede Aktion von OMON und dem Militär. Das Fehlen des Internets spielte für das Regime nur eine negative Rolle – die Menschen gingen auf die Straße, um herauszufinden, was vor sich ging.
Zwei Stunden lang kämpften die Menschen im Zentrum von Minsk und anderen Städten gegen die belarussischen Behörden. Sie kämpften mit großer Energie, die sie so viele Jahre lang gespart hatten. Die erfolgreiche Konfrontation zeigte einmal mehr die Zerbrechlichkeit der belarussischen Diktatur.
Erfolgreiche Konfrontation mit OMON in Pinsk.
Die Bewegung selbst ist nicht die traditioneller politischer Parteien, die die Belaruss:innen in eine gute Zukunft führen. Die Proteste werden durch Medienplattformen organisiert und haben keine klaren Anführer*innen. Gruppen von Menschen versammeln sich auf den Straßen und entscheiden über den Weg, den sie gehen wollen. Das Fehlen eines klaren Plans kann die Wirksamkeit des Protests behindern, aber der Mangel an klaren Anführer:innen macht es unmöglich, ihn leicht zu unterdrücken.
Die Repression gestern Abend war brutal. Es gab so viele Opfer. In ihrer Wut warf die Bereitschaftspolizei Blendgranaten direkt auf Menschen. Mindestens einmal rammte ein Polizeiwagen eine Menschenmenge im Zentrum von Minsk und tötete einen Mann. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden in dieser Nacht mindestens drei Menschen durch das Regime getötet. Das erste Blut wurde vergossen, aber die Menschen haben nicht vor mit dem Protest aufzuhören. Es ist geplant, jeden Tag um 19:00 Uhr bis zum Sturz der Diktatur auf die Straße zu gehen.
Es gibt Aufrufe zur direkten Demokratie im Land auf den wichtigsten Telegramm-Kanälen. Und obwohl einige befürchten, dass solche Aufrufe aufgrund von Unverständnisses des Konzepts existieren, haben die Menschen in Belarus rebelliert, und viele fordern das Ende der Diktatur und den Beginn der Ära der direkten Demokratie.
Quelle: pramen.io
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