Proteste in Belarus dauern auch am Dienstag, 11. August 2020 an

Ein kurzer Überblick über die uns bekannten Ereignisse des Tages (Dienstag).

Der Tag begann mit der Information, dass gestern Abend einweiterer Mensch von der Polizei getötet wurde. Leute brachten zuerst Blumen an den Ort, an dem er ermordet wurde, später tauchten Blumen an verschiedenen Orten in Minsk auf.

Requiem für diesen Tag. Minsk, Kalinovsky Strasse, 2 Uhr, 11 August 2020

Nach heftigen Zusammenstößen mit der Polizei in mehreren Städten in der vergangenen Nacht protestierten die Menschen auch tagsüber auf unterschiedlichste Weise: Transparente wurden aufgehangen, Menschen versammelten sich auf öffentlichen Plätzen, Flugblätter wurden verteilt, um zum Streik aufzurufen und das Militär aufzufordern, die Unterstützung des Lukaschenko-Regimes zu beenden, und die Arbeiter:innen streikten.

Aufruf zum Generalstreik

Am Montag wurde zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Da das Internet nicht funktioniert, wurden Flugblätter verteilt, um die Menschen zu erreichen. Am Dienstag, dem 11. August kamen in verschiedenen Fabriken Gruppen von Menschen zusammen und riefen zum Streik auf. Arbeiter des Elektrotechnischen Werks in Minsk „МЭТЗ ИМ. В.И. Козлова“ veröffentlichten folgende Forderungen: 

1) Ein sofortiges Ende der Gewalt gegen friedliche, unbewaffnete Bürger, die das Recht haben, ihre politische Position friedlich zum Ausdruck zu bringen!
2) Unterlassung von Provokationen zur Rechtfertigung der Handlungen von Strafverfolgungsbehörden. 
3) Freilassung von Personen, die bei früheren friedlichen Demonstrationen festgenommen wurden.
4) Einschalten des Internet, um Spekulationen und Gerüchte zu vermeiden.

Arbeiter:innen streiken im Minsker Elektrotechnichen Werk.

Einige Menschen trafen sich spontan in Solidarität mit den Arbeiter:innen vor der Fabrik. Aber die Bereitschaftspolizei sprengte die Ansammlung und nahm mindestens zwei Personen fest. Die Arbeiter der Zuckerfabrik in Zhabinka – Жабинковский сахарный завод haben heute ebenfalls ihre Arbeit vollständig eingestellt und sind in den Streik getreten. Die Arbeiter:innen versammelten sich und forderten ein Treffen mit dem Vorsitzenden des Bezirksvorstands, um ihre Forderungen vorzubringen. Auch Einzelpersonen traten in den Streik, wie die beiden, die in der Fabrik für Halbleiterbauelemente der JSC „Integral“ arbeiten. Der Rest der Fabrikarbeiter:innen unterstützte die beiden, aber sie trauten sich auf Grund des Druck der Vorgesetzten nicht sich anzuschließen.

Ein Streik gab es auch am Institut für Chemie der neuen Materialien NAN von Belarus – Институте химии новых материалов НАН. Auch die RUE Belenergosetproject, Minsk, rief zum Streik auf, und 70 Ingenieur:innen und Techniker:innen aus verschiedenen Abteilungen der Minsker Traktorenfabrik Минский тракторный завод schlossen sich dem Streik an. Am Mittag kam der stellvertretende Direktor für ideologische Arbeit heraus und begann ihnen zu drohen. Aber keine:r ließ sich davon beeindrucken. Denn niemand glaubt mehr an Ideologen. Auch Fahrer des 4.Trolleybuspark weigerten sich, in der zweiten Schicht zur Arbeit zu gehen, nachdem sie von einer Verletzung eines Kollegen erfahren hatten. 

Achtung: der folgende Abschnitt beinhaltet Beschreibungen von Polizeigewalt
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Polizeibrutalität und Repression

Aber auch die Sicherheitskräfte waren nicht tatenlos. Während des ganzen Tages war die Polizei in der Stadt präsent, verfolgte und verhalftete wahllos Personen.
Die Polizisten fuhren bereits gestern in großen Bussen, die normalerweise für öffentliche Verkehrsmittel eingesetzt werden. In Minsk wurden einige Krankenwagen gewaltsam beschlagnahmt, die am Montag durch die Stadt fuhren und Demonstrant:innen festnahmen. In Brest wurden gestern Sanitäter von der Bereitschaftspolizei (OMON) angegriffen und an der Hilfe für Schwerverletzte gehindert. Einige der Verletzten wurden brutal zusammengeschlagen und festgenommen. Die Sanitäter benötigten eine Erlaubnis der OMON-Offiziere um verletzte zu versorgen. Und die Notrufnummer 103 nahm keine Anrufe von normalen Bürger:innen mehr entgegen, sondern nur von der Polizei. Wegen der brutalen Übergriffe der Polizei befinden sich viele Menschen in Krankenhäusern, auch wenn keine Angaben darüber gemacht werden können, wie viele es momentan sind.

Die Polizei veröffentlichte für Sonntag 3000 und für Montag 2000 festgenommene Personen. Das bedeutet, dass inzwischen mehr als 5000 Menschen inhaftiert sind. Wenn man bedenkt, dass ca. 40.000 Menschen in belarussische Gefängnisse passen und die Tatsache, dass die Gefängnisse in Belarus bereits überfüllt waren, ist klar, dass es keinen Platz mehr gibt. Die Menschen sind auf alle Arten von Gefängnissen und Polizeistationen verteilt. Menschen erfahren dort Gewalt und Folter. Viele Menschen berichten auch, dass Menschen in Busse gesteckt, verprügelt und an beliebige Orte gebracht wurden.

Am Morgen nach den Protesten in der Kastrychnitskaya Polizeistation in Minsk.

In der Regel bringen Angehörige Kleidung, Hygieneartikel und Bücher in die Gefängnisse. Aber die Leute warteten den ganzen Tag vor  den verschiedenen Knästen und bekamen keine Liste der Gefangenen und keine Informationen  wo sie ihre Verwandten finden können. Ausführliche Informationen über Gefangene finden Sie auf der Website des Menschenrechtszentrums „Viasna“. (http://spring96.org/ru/news/98894).

Die absurdesten Aktionen des Tages: Angestellte der Stadt Minsk hatte die großartige Aufgabe, Parkbänke und Dinge, die herumstehen und als Barrikaden benutzt werden könnten, zu entfernen.

Aufruf für den Abend

BELARUS! 19:00!
WIR SIND ZURÜCK AUF DER STRAßE!

Gestern hat Minsk der ganzen Welt gezeigt, dass es absolut real ist, zahlreiche und bewaffnete Kräfte der Sicherheitskräfte zu besiegen! Und die Protesttaktik, bei der die Ordnungskräfte über die ganze Stadt verstreut sind und sich ständig fieberhaft auf der Suche nach Gruppen friedlicher Demonstranten bewegen müssen, erwies sich als die erfolgreichste. Von nun an sind unsere Taktiken so einfach wie möglich.

DEZENTRALISIERUNG! BEWEGEN SIE SICH WIE WASSER!

Die Sicherheitskräfte werden natürlich bereit sein, die Demonstranten an bestimmten Punkten zu treffen. Vor allem an der Independence Avenue in Minsk. Und das ist ihre Schwäche.

STRATEGIE!

✅ Verlassen Sie Ihre Häuser, treffen Sie Ihre Nachbarn und versammeln Sie sich in kleinen Gruppen von bis zu 20 Personen.

✅ Stehen Sie nicht auf einem Punkt! Bewegen Sie sich in kleinen Gruppen auf das Stadtzentrum zu, aber gehen Sie nicht auf die zentralen Plätze – die Sicherheitskräfte sind darauf vorbereitet. Nehmen Sie alle umliegenden Straßen und die Straßensperre ein! LEGEN SIE DIE STADT LAHM!

MINSK! MEIDEN SIE DIE PLÄTZE AN DER UNABHÄNGIGKEITSALLEE SOWIE PUSCHKINSKAJA UND RIGAER.

LASSEN SIE KEINE KRANKENWAGEN PASSIEREN, BIS SIE SICHER SIND, DASS SIE WIRKLICH MEDIZINISCH SIND!

✅ Wenn Sie nicht viele sind und Strafverfolgungsbeamte Sie angreifen – rennen Sie, gruppieren Sie sich neu und erscheinen Sie woanders. Es ist keine Schande, den Rückzug anzutreten! SEI WIE WASSER!

✅ UNSER PROTEST IST FRIEDLICH! Greifen Sie nicht zuerst die Banditen in Schwarz an! Seien Sie bereit, sich zu verteidigen, und vergessen Sie Ihre Schutzausrüstung nicht: Helme, Schilde, enge Schutzbrillen, Handschuhe und Gasmasken/Atemschutzmasken. Vergessen Sie nicht, Ihren Körper zu schützen – dicke Hochglanzmagazine oder Bücher können zu diesem Zweck eingepackt werden! Sie schützen Sie vor Gummigeschossen. Versuchen Sie, Equipment außer Gefecht zu setzen, nicht Faschisten!

Seien Sie bereit, sich gegen die Provokationen und die Gewalt der Lukaschisten zu wehren.

✅ UNSERE SLOGANS SIND EINFACH!

WAHLEN OHNE GERISSENHEIT!
FREIHEIT FÜR POLITISCHE GEFANGENE!

Wir stehen für Freiheit! Für das Ende einer 26-jährigen Diktatur!

Faschisten in schwarzer Uniform haben bereits Belarusen getötet, die einfach nur Freiheit wollten, während Dutzende von friedlichen Demonstranten in Krankenhäusern in ernstem Zustand sind.

IHRE OPFER SOLLEN NICHT UMSONST SEIN!

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